Goethe und Zwickau: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:20160416St Wendel.jpg|mini|alt=Plakette oder Tafel an einer Wand mit der Aufschrift: „Hier war Goethe nie“. Das letzte Wort „nie“ ist kleiner und unauffälliger gestaltet, als die ersten drei Wörter.|Goethe war nie in Zwickau – genau wie im mit dieser Tafel versehenen {{WP|St. Wendel#Gastronomie|Gasthaus „Zum Ochsen“ in St. Wendel}}. (2016)]]
[[Datei:20160416St Wendel.jpg|mini|alt=Plakette oder Tafel an einer Wand mit der Aufschrift: „Hier war Goethe nie“. Das letzte Wort „nie“ ist kleiner und unauffälliger gestaltet, als die ersten drei Wörter.|Goethe war nie in Zwickau und auch nicht im {{WP|St. Wendel#Gastronomie|Gasthaus „Zum Ochsen“ in St. Wendel}}, der mit dieser Tafel versehen ist. (2016)]]
{{WP|Johann Wolfgang von Goethe}} (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) gilt als deutscher Nationaldichter und Identifikationsfigur. Das Verhältnis zu [[Zwickau]] ist bruchstückhaft, denn hier war Goethe nie.
{{WP|Johann Wolfgang von Goethe}} (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) gilt als deutscher Nationaldichter und Identifikationsfigur. Das Verhältnis zu [[Zwickau]] ist bruchstückhaft, denn hier war Goethe nie.


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== Familie Schumann ==
== Familie Schumann ==
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-33031-0003, Leipzig, Gasthaus "Zum Kaffeebaum", Schuhmann-Ecke.jpg|mini|alt=Schwarz-weiß-Foto. 4 Stühle stehen um einen Tisch. Die Wände sind mit histprischen Porträts behangen.|Originalzustand der Schumann-Ecke im {{WP|Zum Arabischen Coffe Baum|Arabischen Coffe Baum}} in Leipzig (1955)]]
Der Autor, Buchhändler und Verleger August [[Familie Schumann in Zwickau|Schumann]] (1773–1826) bemühte sich Goethe als Autor zu gewinnen. Er bat den ihm persönlich bekannten Schwager {{WP|Christian August Vulpius}} um Vermittlung. Dieser schrieb Schumann am 14. März 1801, dass es bereits andere Verleger gebe. So erschien als einziges Werk Goethes bei Schumann in Zwickau 1829 {{WP|Walter Scott|Walter Scotts}} englische Übersetzung ''{{WP|Götz von Berlichingen (Goethe)|Goetz of Berlichingen}}'' als Nummer 198 der ''Pocket Library of English Classics''.<ref>Felicitas Marwinski: ''Bücher „en miniature“ aus Zwickau. Die Taschenbuchreihen der Verlagsbuchhandlung Gebr. Schumann. Mit Bestandsnachweis der im [[Robert-Schumann-Haus]], in der [[Ratsschulbibliothek Zwickau|Ratsschulbibliothek]] und im [[Stadtarchiv]] in Zwickau überlieferten Drucke.'' Dohr, Köln 2011, S.&nbsp;24, 148.</ref> Sohn Carl Schumann (1801–1849) zitierte auf einem Albumblatt vom 27. Juni 1821 für Emilie [[Stölzel]], der Schwester seiner Frau, Verse aus Goethes ''{{WP|Torquato Tasso (Goethe)|Torquato Tasso}}''.<ref>[[Robert-Schumann-Haus Zwickau]]: ''[https://www.schumann-zwickau.de/media/archiv-sonderausstellungen/2018_Poesiealben_aus_Schumanns_Zwickauer_Freundeskreis.pdf Poesiealben aus Schumanns Zwickauer Freundeskreis. Sonderausstellung. 16. September bis 30. Dezember 2018], S.&nbsp;5. Abgerufen am 23. Dezember 2023.''</ref> Ein weiterer Sohn war der bekannte Komponist Robert Schumann (1810–1856)<ref name ="schumann-robert" />. ''{{WP|Der Fischer (Goethe)|Der Fischer}}'' entstand 1828 als erste von vielen Goethe-Vertonungen.<ref>Gero von Wilpert: ''Goethe-Lexikon'', Kröner, Stuttgart 1998, S.&nbsp;970. ([https://bibliothek.zwickau.de/Permalink.aspx?id=0069208 Stadtbibliothek])</ref> 1830/’31 wohnte er ein Jahr lang bei der Familie Wieck in Leipzig, um Klavierunterricht bei Friedrich Wieck zu erhalten. Zu dessen Kindern gehörte seine spätere Ehefrau; die Pianistin Clara Wieck (1819–1896)<ref name ="schumann-clara" />. Sie spielte zwölfjährig im September und Oktober 1831 mit ihrem Vater mehrere Konzerte in Weimar, dabei auch zweimal bei Goethe. Friedrich Wieck hielt das Ereignis des ersten Konzerts tagebuchartig fest:
Der Autor, Buchhändler und Verleger August [[Familie Schumann in Zwickau|Schumann]] (1773–1826) bemühte sich Goethe als Autor zu gewinnen. Er bat den ihm persönlich bekannten Schwager {{WP|Christian August Vulpius}} um Vermittlung. Dieser schrieb Schumann am 14. März 1801, dass es bereits andere Verleger gebe. So erschien als einziges Werk Goethes bei Schumann in Zwickau 1829 {{WP|Walter Scott|Walter Scotts}} englische Übersetzung ''{{WP|Götz von Berlichingen (Goethe)|Goetz of Berlichingen}}'' als Nummer 198 der ''Pocket Library of English Classics''.<ref>Felicitas Marwinski: ''Bücher „en miniature“ aus Zwickau. Die Taschenbuchreihen der Verlagsbuchhandlung Gebr. Schumann. Mit Bestandsnachweis der im [[Robert-Schumann-Haus]], in der [[Ratsschulbibliothek Zwickau|Ratsschulbibliothek]] und im [[Stadtarchiv]] in Zwickau überlieferten Drucke.'' Dohr, Köln 2011, S.&nbsp;24, 148.</ref> Sohn Carl Schumann (1801–1849) zitierte auf einem Albumblatt vom 27. Juni 1821 für Emilie [[Stölzel]], der Schwester seiner Frau, Verse aus Goethes ''{{WP|Torquato Tasso (Goethe)|Torquato Tasso}}''.<ref>[[Robert-Schumann-Haus Zwickau]]: ''[https://www.schumann-zwickau.de/media/archiv-sonderausstellungen/2018_Poesiealben_aus_Schumanns_Zwickauer_Freundeskreis.pdf Poesiealben aus Schumanns Zwickauer Freundeskreis. Sonderausstellung. 16. September bis 30. Dezember 2018], S.&nbsp;5. Abgerufen am 23. Dezember 2023.''</ref> Ein weiterer Sohn war der bekannte Komponist Robert Schumann (1810–1856). ''{{WP|Der Fischer (Goethe)|Der Fischer}}'' entstand 1828 als erste von vielen Goethe-Vertonungen.<ref>Gero von Wilpert: ''Goethe-Lexikon'', Kröner, Stuttgart 1998, S.&nbsp;970. ([https://bibliothek.zwickau.de/Permalink.aspx?id=0069208 Stadtbibliothek])</ref> 1830/’31 wohnte er ein Jahr lang bei der Familie Wieck in Leipzig, um Klavierunterricht bei Friedrich Wieck zu erhalten. Zu dessen Kindern gehörte seine spätere Ehefrau; die Pianistin Clara Wieck (1819–1896). Sie spielte zwölfjährig im September und Oktober 1831 mit ihrem Vater mehrere Konzerte in Weimar, dabei auch zweimal bei Goethe. Friedrich Wieck hielt das Ereignis des ersten Konzerts tagebuchartig fest:
<blockquote>''D. 1. Octobr'' Mittag 12 Uhr hatten wir Audienz bei dem 83jährigen Minister Excell. v. Goethe. Wir fanden ihn lesend und der Bediente führte uns ein ohne weitere Anmeldung, nachdem er uns den Tag vorher zu dieser Zeit hatte bestellen lassen. Er empfing uns sehr freundlich; Clara mußte sich zu ihm auf das Sopha setzen. Bald darauf kam seine Schwiegertochter [Ottilie von Goethe] mit ihren beiden sehr geistreich aussehenden Kindern v. 10 – 12 Jahren (der Vater ist in Italien gestorben). Clara wurde nun aufgefordert zu spielen und spielte la Violetta v. [Henri] Herz O. 20. – Goethe fällte über die Composition und das Spiel der Clara ein sehr richtiges Urtheil nannte die Comp. heiter, und französisch picant und rühmte Claras richtiges Eindringen in diesen Character. So hatten wir denn denjenigen gesprochen, was viele Fremde vergebens wünschen.<br />Chopin Var[iationen] machen ungeheures Aufsehen, aber Clara noch mehr, daß sie dieselben spielen kann.<ref>{{WP|Gerd Nauhaus}} und {{WP|Nancy B. Reich}} (Hrsg.): ''Clara Schumann. Jugendtagebücher 1827–1840'', Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 2019, S.&nbsp;68.</ref></blockquote>
<blockquote>''D. 1. Octobr'' Mittag 12 Uhr hatten wir Audienz bei dem 83jährigen Minister Excell. v. Goethe. Wir fanden ihn lesend und der Bediente führte uns ein ohne weitere Anmeldung, nachdem er uns den Tag vorher zu dieser Zeit hatte bestellen lassen. Er empfing uns sehr freundlich; Clara mußte sich zu ihm auf das Sopha setzen. Bald darauf kam seine Schwiegertochter [Ottilie von Goethe] mit ihren beiden sehr geistreich aussehenden Kindern v. 10 – 12 Jahren (der Vater ist in Italien gestorben). Clara wurde nun aufgefordert zu spielen und spielte la Violetta v. [Henri] Herz O. 20. – Goethe fällte über die Composition und das Spiel der Clara ein sehr richtiges Urtheil nannte die Comp. heiter, und französisch picant und rühmte Claras richtiges Eindringen in diesen Character. So hatten wir denn denjenigen gesprochen, was viele Fremde vergebens wünschen.<br />Chopin Var[iationen] machen ungeheures Aufsehen, aber Clara noch mehr, daß sie dieselben spielen kann.<ref>{{WP|Gerd Nauhaus}} und {{WP|Nancy B. Reich}} (Hrsg.): ''Clara Schumann. Jugendtagebücher 1827–1840'', Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 2019, S.&nbsp;68.</ref></blockquote>


Von Goethe sind weitere Bemerkungen über die Pianistin erhalten: »sehr geschicktes Frauenzimmerchen« (Tagebuch vom 1. Oktober 1831)<ref name="g-tageb">Zeno.org: ''[http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Tageb%C3%BCcher/1831/October Goethe, Johann Wolfgang, Tagebücher, 1831, October]'', abgerufen am 5. August 2022.</ref>, »merkwürdiges Phänomen« (Brief an Carl Friedrich Zelter »Weimar den 5. Oktober 1831.«)<ref>Karl Robert Mandelkow (Hrsg.): ''Johann Wolfgang von Goethe: Briefe'' (Hamburger Ausgabe), Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, Bd.&nbsp;4, S.&nbsp;453f.</ref>, »Ueber Clara’s darstellung vergißt man die Composition.« (Friedrich Wieck: »Tagebuch unser Reise im Septbr 1831«) und »das Mädchen hat mehr Kraft als 6 Knaben zusammen« (Friedrich Wieck: »Tagebuch unser Reise im Septbr 1831«). »Der kunstreichen Clara Wieck« schenkte er eine Bronzemedaille, darauf die Seitenansicht seines Kopfes und sein Name.<ref>{{WP|Gerd Nauhaus}} und {{WP|Nancy B. Reich}} (Hrsg.): ''Clara Schumann. Jugendtagebücher 1827–1840'', Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 2019, S.&nbsp;69–71.</ref>
Von Goethe sind weitere Bemerkungen über die Pianistin erhalten: »sehr geschicktes Frauenzimmerchen« (Tagebuch vom 1. Oktober 1831)<ref name="g-tageb">Zeno.org: ''[http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Tageb%C3%BCcher/1831/October Goethe, Johann Wolfgang, Tagebücher, 1831, October]'', abgerufen am 5. August 2022.</ref>, »merkwürdiges Phänomen« (Brief an Carl Friedrich Zelter »Weimar den 5. Oktober 1831.«)<ref>Karl Robert Mandelkow (Hrsg.): ''Johann Wolfgang von Goethe: Briefe'' (Hamburger Ausgabe), Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, Bd.&nbsp;4, S.&nbsp;453f.</ref>, »Ueber Clara’s darstellung vergißt man die Composition.« (Friedrich Wieck: »Tagebuch unser Reise im Septbr 1831«) und »das Mädchen hat mehr Kraft als 6 Knaben zusammen« (Friedrich Wieck: »Tagebuch unser Reise im Septbr 1831«). »Der kunstreichen Clara Wieck« schenkte er eine Bronzemedaille, darauf die Seitenansicht seines Kopfes und sein Name.<ref>{{WP|Gerd Nauhaus}} und {{WP|Nancy B. Reich}} (Hrsg.): ''Clara Schumann. Jugendtagebücher 1827–1840'', Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 2019, S.&nbsp;69–71.</ref>


Um 1849, dem 100. Geburtsjahr, komponierte Robert Schumann besonders viel in Bezug auf Goethe. Die ''Lieder und Gesänge aus {{WP|Wilhelm Meisters Lehrjahre|Wilhelm Meister}}'' entstanden. Langwieriger gestalteten sich die ''{{WP|Szenen aus Goethes Faust}}''. Während den Letzteren eine Ouvertüre vorangestellt ist, steht die ''Ouvertüre zu Goethes {{WP|Hermann und Dorothea}}'', die mit der ''{{WP|Marseillaise}}'' (heutige französischen Nationalhymne) durchsetzt ist, für sich. Diese Werke wurden und werden größtenteils gleichgültig, teilweise kritisch aufgenommen.<ref>Peter Jost: ''Ouvertüren,'' Christiane Tewinkel: ''Lieder.'' In: Ulrich Tadday (Hrsg.): ''Schumann-Handbuch.'' Metzler, Weimar und Bärenreiter, Kassel 2006, S.&nbsp;373f., 442&#8239;ff.</ref>
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-33031-0003, Leipzig, Gasthaus "Zum Kaffeebaum", Schuhmann-Ecke.jpg|mini|hochkant|alt=Schwarz-weiß-Foto. 4 Stühle stehen um einen Tisch. Die Wände sind mit histprischen Porträts behangen.|Originalzustand der Schumann-Ecke im {{WP|Zum Arabischen Coffe Baum|Arabischen Coffe Baum}} in Leipzig (1955)]]
Im Leipziger Kaffehaus {{WP|Zum Arabischen Coffe Baum}} waren sowohl Goethe als auch Robert Schumann zu Gast, letzterer in den Jahren 1833 bis 1840 regelmäßig mit den {{WP|Davidsbündler}}n.<ref>Leipzig PostkoloniaL: [https://leipzig-postkolonial.de/themen/zum-arabischen-coffee-baum/ Zum Arabischen Coffe Baum], abgerufen im März 2024. Die näheren Informationen zu Schumann sind der originalen Bildbeschreibung entnommen, die mit einem Klick auf das Bild zugänglich ist.</ref> Anlässlich des 100. Geburtstages Goethes im Jahr 1849 engagierte er sich im Festkomitee und komponierte in dieser Zeit besonders viel in Bezug auf Goethe: Die ''Lieder und Gesänge aus {{WP|Wilhelm Meisters Lehrjahre|Wilhelm Meister}}'' entstanden. Langwieriger gestalteten sich die ''{{WP|Szenen aus Goethes Faust}}''. Letztere gelten als die »umfangreichste und anspruchsvollste Vertonung von Goethes Faust«, wurden aber erst 1858 veröffentlicht und 1862 uraufgeführt<ref name="schumann-robert" />. Während den ''Szenen'' eine Ouvertüre vorangestellt ist, steht die ''Ouvertüre zu Goethes {{WP|Hermann und Dorothea}}'', die mit der ''{{WP|Marseillaise}}'' (heutige französischen Nationalhymne) durchsetzt ist, für sich. Diese Werke wurden und werden größtenteils gleichgültig, teilweise kritisch aufgenommen.<ref>Peter Jost: ''Ouvertüren,'' Christiane Tewinkel: ''Lieder.'' In: Ulrich Tadday (Hrsg.): ''Schumann-Handbuch.'' Metzler, Weimar und Bärenreiter, Kassel 2006, S.&nbsp;373f., 442&#8239;ff.</ref>
 
<blockquote>»Das Goethehaus in der Stadt [Weimar] ind das Gartenhaus im Parke gesehen. Im Goethehaus fand ich das Klavier (einen Streicher) noch im selben Zimmer an derselben Stelle, wo ich im Jahre 1831 bei ihm gespielt hatte. – Das berührte mich ganz eigen! ein ganzes Leben hat sich seitdem abgespielt – wie ein Chaos kam es einem vor.« (Clara Schumann: ''Tagebuch'' am 28. Juni 1888)<ref>Zitiert nach: ''Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und herausgegeben von Wolfgang Herwig. Dritter Band. Zweiter Teil 1825–1832.'' Artemis, Zürich 1972, S.&nbsp;822.</ref></blockquote>


== Familie Fikentscher ==
== Familie Fikentscher ==
[[Friedrich Christian Fikentscher]] (1799–1864) war ein Zwickauer Unternehmer und Politiker. Der gebürtige Franke gründete in Zwickau eine Glashütte, was Louis Pasteur zu einer Reise nach Zwickau veranlasste, und war [[Rat der Stadt Zwickau|lokaler Stadtverordneter]] und [[sächsischer Landtag]]sabgeordneter. Goethe stand vor allem mit dessen Vater, Wolfgang Caspar Fikentscher, in Kontakt, kannte aber auch den Sohn. Er schrieb am 9. Juli 1830: »Ihr Hr. Sohn befindet sich in England, als ein vorzüglicher Deutscher gewiß zu seinem Vortheile, und so habe [ich] nur gute Gesundheit und Fortsetzung solcher günstigen Umstände zu hoffen.«<ref>Rüdiger Fikentscher: ''Liebe, Arbeit, Enthaltsamkeit. Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen'', Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, S.&nbsp;103–106.</ref>
[[Friedrich Christian Fikentscher]] (1799–1864) war ein Zwickauer Unternehmer und Politiker. Der gebürtige Franke gründete in Zwickau eine Glashütte, was Louis Pasteur zu einer Reise nach Zwickau veranlasste, und war [[Rat der Stadt Zwickau|lokaler Stadtverordneter]] und [[sächsischer Landtag]]sabgeordneter. Goethe stand vor allem mit dessen Vater, Wolfgang Caspar Fikentscher, in Kontakt, kannte aber auch den Sohn. Er schrieb am 9. Juli 1830: »Ihr Hr. Sohn befindet sich in England, als ein vorzüglicher Deutscher gewiß zu seinem Vortheile, und so habe [ich] nur gute Gesundheit und Fortsetzung solcher günstigen Umstände zu hoffen.«<ref>Rüdiger Fikentscher: ''Liebe, Arbeit, Enthaltsamkeit. Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen'', Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, S.&nbsp;103–106.</ref>


[[Datei:Goethe-Positiones Juris (licence) (1).jpg|mini|alt=aufgeschlagenes schmales Buch. Zu sehen ist das Titelblatt|Goethes ''Positiones Juris'']]
Die in Zwickau geborene und aufgewachsene Rechtswissenschaftlerin [[Gertrud Schubart-Fikentscher]] (1896–1985), Enkelin von Wolfgang Caspar, wurde 1948 die erste deutsche Professorin in ihrem Fachgebiet. Im darauffolgenden Jahr beschäftigte sie sich anlässlich des 200. Geburtstages Goethes mit seinen 56 Straßburger Promotionsthesen ''Positiones juris'' und der Frage »ob und welchen Wert diese Thesen für die Rechtswissenschaft, das gelehrte Leben oder die Praxis, für die studentische Jugend haben.« Sie schlug vor, die Thesen als Paradebeispiel einer erwartbaren wissenschaftlichen Leistung im Jura-Studium zu behandeln. These 55 thematisiert die Kindstötung und deren Bestrafung in jener Zeit. Schubart-Fikentscher attestierte ihr, dass »eindeutiger als bei allen übrigen Thesen der Satz für eine gegenwärtige wissenschaftliche disputatio gefunden wurde, um für die Zukunft auf einer ganz anderen Ebene seine zeitlose Gestalt zu gewinnen.«<ref>Gertrud Schubart-Fikentscher: ''Goethes sechsundfünfzig Straßburger Thesen vom 6. August 1771. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft'', Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1949, S.&nbsp;8, 10, 124, 129.</ref> In den 1970ern trat sie mehrfach in Bezug auf Goethes Amtlicher Tätigkeit in die Öffentlichkeit: In Bezug auf das Universitäre würdigte sie ihn als »Studienreformer«. Außerdem setzte sie sich mit einer damals aktuellen Ausgabe der Amtlichen Schriften auseinander.<ref>Rolf Lieberwirth: ''Bibliographie Gertrud Schubart-Fikentscher'' In: Rolf Lieberwirth (Hrsg.): ''Rechtsgeschichte in Halle. Gedächtnisschrift für Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985).'' Heymann, Köln u.&#8239;a. 1998, S.&nbsp;92–93 (''Hallesche Schriften zum Recht'' 5).</ref>
Die in Zwickau geborene und aufgewachsene Rechtswissenschaftlerin [[Gertrud Schubart-Fikentscher]] (1896–1985), Enkelin von Wolfgang Caspar, wurde 1948 die erste deutsche Professorin in ihrem Fachgebiet. Im darauffolgenden Jahr beschäftigte sie sich anlässlich des 200. Geburtstages Goethes mit seinen 56 Straßburger Promotionsthesen ''Positiones juris'' und der Frage »ob und welchen Wert diese Thesen für die Rechtswissenschaft, das gelehrte Leben oder die Praxis, für die studentische Jugend haben.« Sie schlug vor, die Thesen als Paradebeispiel einer erwartbaren wissenschaftlichen Leistung im Jura-Studium zu behandeln. These 55 thematisiert die Kindstötung und deren Bestrafung in jener Zeit. Schubart-Fikentscher attestierte ihr, dass »eindeutiger als bei allen übrigen Thesen der Satz für eine gegenwärtige wissenschaftliche disputatio gefunden wurde, um für die Zukunft auf einer ganz anderen Ebene seine zeitlose Gestalt zu gewinnen.«<ref>Gertrud Schubart-Fikentscher: ''Goethes sechsundfünfzig Straßburger Thesen vom 6. August 1771. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft'', Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1949, S.&nbsp;8, 10, 124, 129.</ref> In den 1970ern trat sie mehrfach in Bezug auf Goethes Amtlicher Tätigkeit in die Öffentlichkeit: In Bezug auf das Universitäre würdigte sie ihn als »Studienreformer«. Außerdem setzte sie sich mit einer damals aktuellen Ausgabe der Amtlichen Schriften auseinander.<ref>Rolf Lieberwirth: ''Bibliographie Gertrud Schubart-Fikentscher'' In: Rolf Lieberwirth (Hrsg.): ''Rechtsgeschichte in Halle. Gedächtnisschrift für Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985).'' Heymann, Köln u.&#8239;a. 1998, S.&nbsp;92–93 (''Hallesche Schriften zum Recht'' 5).</ref>


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== Einzelnachweise ==
== Einzelnachweise ==
<references />
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<ref name="schumann-robert">Sigrid Lange: [https://www.schumann-portal.de/goethe-johann-wolfgang-von.html Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)] im Schumann-Portal.de, abgerufen im März 2024.</ref>
<ref name="schumann-clara">Theresa Schlegel: [https://www.schumann-portal.de/johann-wolfgang-von-goethe-4259.html  Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)] im Schumann-Portal.de, 2020, abgerufen im März 2024.</ref>
</references>


[[Kategorie:Zwickau und|Goethe]]
[[Kategorie:Zwickau und|Goethe]]
[[Kategorie:Familie Schumann in Zwickau]]
[[Kategorie:Familie Schumann in Zwickau]]

Aktuelle Version vom 23. März 2024, 23:24 Uhr

Plakette oder Tafel an einer Wand mit der Aufschrift: „Hier war Goethe nie“. Das letzte Wort „nie“ ist kleiner und unauffälliger gestaltet, als die ersten drei Wörter.
Goethe war nie in Zwickau und auch nicht im Gasthaus „Zum Ochsen“ in St. Wendel, der mit dieser Tafel versehen ist. (2016)

Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main; † 22. März 1832 in Weimar) gilt als deutscher Nationaldichter und Identifikationsfigur. Das Verhältnis zu Zwickau ist bruchstückhaft, denn hier war Goethe nie.

Theateraufführungen und die Behandlung in Schulen sind nicht zwickauspezifische, sondern überregionale Phänomene. Als solche werden sie im Folgenden ausgeklammert.

Früher Goethe

In den Frankfurter gelehrte Anzeigen, Nr. 72 vom 8. September 1772 besprach Goethe »Der Selbstmord. Eine Erzählung (in Versen.) 6tehalb Bogen« aus »Leipzig und Zwickau«: »Wir haben lange nichts so erbärmliches gesehen. Schade um die Kupferstiche und den schönen Druck.«[1] Zwei Jahre später thematisierte Goethe Selbstmord in dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers.

Goethes Wilhelm Meisters theatralische Sendung ist eine inoffizielle frühe Fassung des Bildungsromans Wilhelm Meisters Lehrjahre. Die dort vorkommende Figur Madame de Retti (v. a. 3. Buch, Kapitel 6–8)[2] ist stark an Friederike Caroline Neuber (1697–1760) angelehnt. Die reale Person wurde in Reichenbach geboren und zog als Kind mit ihren Eltern 1702 nach Zwickau. Bereits 1705 starb die Mutter und der Tochter ging es bei ihrem Vater nicht gut. Sie floh 1712 zweimal, was eine Haftstrafe zur Folge hatte. 1716 schloss Neuber sich einer Theatergruppe an und verließ die Stadt. Sie wurde dann als Schauspielerin, Prinzipalin und Bühnenreformerin bekannt. Dass sie 1737 den »Hanswurst« bzw. den »Harlekin« symbolisch von der Bühne vertrieb, griff Goethe zunächst auf. Die Figur der Madame de Retti wurde nicht in die Endfassung übernommen.[3][4]

Mineralien

Goethes Sammlungen zur Mineralogie, Geologie und Paläontologie enthalten verschiedene Mineralien aus Zwickau:[5]

Nadeleisenerz wird auch nach Goethe Goethit (oder Goethenit) genannt.[6] Es gibt also ein Goethit-Vorkommen in Zwickau-Planitz.

Familie Schumann

Der Autor, Buchhändler und Verleger August Schumann (1773–1826) bemühte sich Goethe als Autor zu gewinnen. Er bat den ihm persönlich bekannten Schwager Christian August Vulpius um Vermittlung. Dieser schrieb Schumann am 14. März 1801, dass es bereits andere Verleger gebe. So erschien als einziges Werk Goethes bei Schumann in Zwickau 1829 Walter Scotts englische Übersetzung Goetz of Berlichingen als Nummer 198 der Pocket Library of English Classics.[7] Sohn Carl Schumann (1801–1849) zitierte auf einem Albumblatt vom 27. Juni 1821 für Emilie Stölzel, der Schwester seiner Frau, Verse aus Goethes Torquato Tasso.[8] Ein weiterer Sohn war der bekannte Komponist Robert Schumann (1810–1856)[9]. Der Fischer entstand 1828 als erste von vielen Goethe-Vertonungen.[10] 1830/’31 wohnte er ein Jahr lang bei der Familie Wieck in Leipzig, um Klavierunterricht bei Friedrich Wieck zu erhalten. Zu dessen Kindern gehörte seine spätere Ehefrau; die Pianistin Clara Wieck (1819–1896)[11]. Sie spielte zwölfjährig im September und Oktober 1831 mit ihrem Vater mehrere Konzerte in Weimar, dabei auch zweimal bei Goethe. Friedrich Wieck hielt das Ereignis des ersten Konzerts tagebuchartig fest:

D. 1. Octobr Mittag 12 Uhr hatten wir Audienz bei dem 83jährigen Minister Excell. v. Goethe. Wir fanden ihn lesend und der Bediente führte uns ein ohne weitere Anmeldung, nachdem er uns den Tag vorher zu dieser Zeit hatte bestellen lassen. Er empfing uns sehr freundlich; Clara mußte sich zu ihm auf das Sopha setzen. Bald darauf kam seine Schwiegertochter [Ottilie von Goethe] mit ihren beiden sehr geistreich aussehenden Kindern v. 10 – 12 Jahren (der Vater ist in Italien gestorben). Clara wurde nun aufgefordert zu spielen und spielte la Violetta v. [Henri] Herz O. 20. – Goethe fällte über die Composition und das Spiel der Clara ein sehr richtiges Urtheil nannte die Comp. heiter, und französisch picant und rühmte Claras richtiges Eindringen in diesen Character. So hatten wir denn denjenigen gesprochen, was viele Fremde vergebens wünschen.
Chopin Var[iationen] machen ungeheures Aufsehen, aber Clara noch mehr, daß sie dieselben spielen kann.[12]

Von Goethe sind weitere Bemerkungen über die Pianistin erhalten: »sehr geschicktes Frauenzimmerchen« (Tagebuch vom 1. Oktober 1831)[13], »merkwürdiges Phänomen« (Brief an Carl Friedrich Zelter »Weimar den 5. Oktober 1831.«)[14], »Ueber Clara’s darstellung vergißt man die Composition.« (Friedrich Wieck: »Tagebuch unser Reise im Septbr 1831«) und »das Mädchen hat mehr Kraft als 6 Knaben zusammen« (Friedrich Wieck: »Tagebuch unser Reise im Septbr 1831«). »Der kunstreichen Clara Wieck« schenkte er eine Bronzemedaille, darauf die Seitenansicht seines Kopfes und sein Name.[15]

Schwarz-weiß-Foto. 4 Stühle stehen um einen Tisch. Die Wände sind mit histprischen Porträts behangen.
Originalzustand der Schumann-Ecke im Arabischen Coffe Baum in Leipzig (1955)

Im Leipziger Kaffehaus Zum Arabischen Coffe Baum waren sowohl Goethe als auch Robert Schumann zu Gast, letzterer in den Jahren 1833 bis 1840 regelmäßig mit den Davidsbündlern.[16] Anlässlich des 100. Geburtstages Goethes im Jahr 1849 engagierte er sich im Festkomitee und komponierte in dieser Zeit besonders viel in Bezug auf Goethe: Die Lieder und Gesänge aus Wilhelm Meister entstanden. Langwieriger gestalteten sich die Szenen aus Goethes Faust. Letztere gelten als die »umfangreichste und anspruchsvollste Vertonung von Goethes Faust«, wurden aber erst 1858 veröffentlicht und 1862 uraufgeführt[9]. Während den Szenen eine Ouvertüre vorangestellt ist, steht die Ouvertüre zu Goethes Hermann und Dorothea, die mit der Marseillaise (heutige französischen Nationalhymne) durchsetzt ist, für sich. Diese Werke wurden und werden größtenteils gleichgültig, teilweise kritisch aufgenommen.[17]

»Das Goethehaus in der Stadt [Weimar] ind das Gartenhaus im Parke gesehen. Im Goethehaus fand ich das Klavier (einen Streicher) noch im selben Zimmer an derselben Stelle, wo ich im Jahre 1831 bei ihm gespielt hatte. – Das berührte mich ganz eigen! ein ganzes Leben hat sich seitdem abgespielt – wie ein Chaos kam es einem vor.« (Clara Schumann: Tagebuch am 28. Juni 1888)[18]

Familie Fikentscher

Friedrich Christian Fikentscher (1799–1864) war ein Zwickauer Unternehmer und Politiker. Der gebürtige Franke gründete in Zwickau eine Glashütte, was Louis Pasteur zu einer Reise nach Zwickau veranlasste, und war lokaler Stadtverordneter und sächsischer Landtagsabgeordneter. Goethe stand vor allem mit dessen Vater, Wolfgang Caspar Fikentscher, in Kontakt, kannte aber auch den Sohn. Er schrieb am 9. Juli 1830: »Ihr Hr. Sohn befindet sich in England, als ein vorzüglicher Deutscher gewiß zu seinem Vortheile, und so habe [ich] nur gute Gesundheit und Fortsetzung solcher günstigen Umstände zu hoffen.«[19]

aufgeschlagenes schmales Buch. Zu sehen ist das Titelblatt
Goethes Positiones Juris

Die in Zwickau geborene und aufgewachsene Rechtswissenschaftlerin Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985), Enkelin von Wolfgang Caspar, wurde 1948 die erste deutsche Professorin in ihrem Fachgebiet. Im darauffolgenden Jahr beschäftigte sie sich anlässlich des 200. Geburtstages Goethes mit seinen 56 Straßburger Promotionsthesen Positiones juris und der Frage »ob und welchen Wert diese Thesen für die Rechtswissenschaft, das gelehrte Leben oder die Praxis, für die studentische Jugend haben.« Sie schlug vor, die Thesen als Paradebeispiel einer erwartbaren wissenschaftlichen Leistung im Jura-Studium zu behandeln. These 55 thematisiert die Kindstötung und deren Bestrafung in jener Zeit. Schubart-Fikentscher attestierte ihr, dass »eindeutiger als bei allen übrigen Thesen der Satz für eine gegenwärtige wissenschaftliche disputatio gefunden wurde, um für die Zukunft auf einer ganz anderen Ebene seine zeitlose Gestalt zu gewinnen.«[20] In den 1970ern trat sie mehrfach in Bezug auf Goethes Amtlicher Tätigkeit in die Öffentlichkeit: In Bezug auf das Universitäre würdigte sie ihn als »Studienreformer«. Außerdem setzte sie sich mit einer damals aktuellen Ausgabe der Amtlichen Schriften auseinander.[21]

Ihr Neffe Rüdiger Fikentscher (SPD) berichtete nach ihrem Tod, dass Goethe für Schubart-Fikentscher eine besondere Bedeutung hatte[22][23], aber auch, wie sie zu dem Kult um ihn stand: Ende August 1921 notierte sie im Tagebuch: »Wahrhaftig, manchmal ist mir der [Ehe-]Mann [Wilhelm Fikentscher] fast unbegreiflich. Goethes Geburtstag feierten wir mit Bildern aus Bamberg und Naumburg und seinen Gedichten.«[24] Persönlich berichtet der Neffe:

Als es in den den fünfziger Jahren wieder einmal hierzulande Mode war, Bücher über Weimar, die Klassik und besonders über Goethe mit allem zugehörigen Tratsch und Klatsch zu lesen, geschah das natürlich auch in unserer Familie. Vermutlich hat man sich ihr gegenüber ob eines solchen Bildungseifers auch ein wenig gebrüstet. Ihre Reaktion war deutlich: Man solle besser von Goethe statt über ihn lesen![22]

Zur Konfirmation schenkte sie dem Neffen eine Cotta-Gesamtausgabe und »zur Habilitation die Originalausgabe seines Briefwechsels mit Schiller, wohl das wertvollste, was sie hatte.«[22] In den späten Jahren fand sie laut Rüdiger Fikentscher wiederholt bei Goethe Zuflucht und zitierte privat einzelne Maximen und Reflexionen: »Der Alte verliert eines seiner größten Menschenrechte: Er wird nicht mehr von seinesgleichen beurteilt.«[25] »Man darf nur alt werden, um milde zu sein; ich sehe keinen Fehler begehen, den ich nicht auch begangen hätte.«[26]

Weitere historische Persönlichkeiten

Heinrich Braun (1862–1934) war ein vielseitig in Zwickau aktiver Mediziner. In seiner Dresdener Gymnasialzeit (1873–1881) las er aus Eigeninteresse neben Darwin und Brehm auch Goethe. Seine Bildung gelang nach eigener Aussage nicht wegen, sondern trotz der Schule.[27]

Von der erzgebirgischen Mundartdichterin Marianne Hütel (1911–1983) aus Zwickau ist die Geschichte Der heitere Goethe erhalten.[28]

Der oberplanitzer Schauspieler Gert Fröbe (1913–1988) rezitierte sächselnd einige Mephisto-Verse aus Goethes Faust gegenüber seinem späteren Lehrer Erich Ponto. Ersterer malte letzteren 1936. Daraufhin offenbarte Fröbe seinen Wunsch Schauspieler zu werden und rezitierte Goethes Mephisto: »Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, …« (Faust I, V. 851 ff.) Ponto soll erwidert haben: »Mephisto ist doch kein Sachse!« Dennoch entstand ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, sodass Fröbe mit der Bühnenmalerei aufhörte. Den »sächsischen Mephisto« brachte er später oft hervor, womit er seine »sächsische Hypothek« als Komik für sich nutzbar machte.[29][30][31]

Goethestraßen und Goetheschule

Hausfassade mit dem Bild, das im Text beschrieben wird
Goethestraße 16 (2022)

1904 lässt sich erstmals der Name »Goethestraße« in Zwickau-Marienthal nachweisen, der sich bis heute gehalten hat. Das führte zur gleichnamigen Benennung einer Haltestelle auf der kreuzenden Werdauer Straße. Im Monopoly Zwickau (2015, 2018) wurde die Goethestraße des gelben Straßenzuges durch die in der Realität wesentlich kürzere Trabantstraße ersetzt.[32] Die Südseite der Goethestraße 16 (südlicher/unterer Bereich der Straße auf der östlichen Straßenseite) ist mit dem Bild Goethe in der Campagna von Tischbein und dem Vers »Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein« (Faust, V. 940, bekannt als Osterspaziergang) bemalt.

Die heutige Händelstraße in Oberplanitz hieß auch ursprünglich Goethestraße (seit 1925 nachweisbar). Zu vermeiden war die durch die Eingemeindung von Planitz 1944 entstehende Namensgleichheit zweier Straßen in nun einem Ort. Für die Jahre 1944–1946 liegen verschiedene Namen vor, zuletzt Händelstraße.[33] Bei der Eingemeindung wurde eine weitere Namensdopplung verhindert: In der Nordvorstadt gab es seit 1929 eine Pestalozzischule und auch eine gleichnamige bereits seit 1910 im damaligen Nieder-, heutigen Neuplanitz. Letztere wurde in »Goetheschule« umbenannt. Die Grundschule bestand bis 2006. Das Gebäude in der Neuplanitzer Straße 86 wurde anschließend von der Anne-Frank-Schule genutzt und steht zum Verkauf (Stand 2022).[34][35][36]

Interkulturelle Rezeption in der BRD

1998, ein Jahr vor Goethes 250. Geburtsjahr, erschien das Buch Goethes Deutschland. Orte und Stätten von Aachen bis Zwickau aus der Sicht des Dichters. Darin sah Autor Jochen Klauß Potential, dass durch die gemeinsame Identifikation mit Goethe die beiden lang getrennten Teile kulturell besser zusammenwachsen können. Der Eintrag »Zwickau« beschränkt sich auf die Feststellung, dass Goethe nie in Zwickau war und welche Mineralien er aus der Region in seiner Sammlung hatte. Aber auch in im Titel genannten westdeutschen Aachen war Goethe nie.[37]

Das offizielle Zwickau identifizierte sich im Reformationsjahr 2017 (500 Jahre 95 Thesen) als zweite Reformationsstadt (nach Wittenberg)[38] mit Martin Luther und der mit ihm einhergehenden Erneuerungsbewegung. Dementsprechend ging die damalige Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) zur Neujahrsansprache darauf ein. Nachdem sie allgemein Gewalt in der ganzen Welt und konkret Rechtsextremismus in Zwickau problematisierte, stellte sie die rhetorische Frage, was zu tun sei und verwies zunächst »auf die Reformation und das Werk Luthers. Ich will mir keine Einschätzung anmaßen. Diese Wertung überlasse ich demjenigen, der mit, vielleicht auch nach, ggf. vor Martin Luther als zweiter berühmter Deutscher gilt: Johann Wolfgang Goethe.« Aus Eckermanns Gesprächen mit Goethe zitierte sie: »›Wir wissen gar nicht, was wir Luthern und der Reformation (…) alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit, wir sind infolge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zur Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen. Wir haben wieder den Mut, mit festen Füßen auf Gottes Erde zu stehen und uns in unserer gottbegabten Menschennatur zu fühlen.‹« Daraufhin leitete sie Texte der Reformation heranziehend ein Reformationsverständnis ab, das fortzusetzen sei und lebendig erhalten werden müsse: »Es geht um allgemeine Werte: um Freiheit und Solidarität, um Mitmenschlichkeit und ein soziales Miteinander, um Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein.«[39] Goethe äußerte sich zu Luther und dem Protestantismus vielfältig, lobend, kritisch und nicht widerspruchsfrei.[40]

Khalid Sannaa führte 2018 in der Zwickauer Zeitschrift grenzenlos seinen Goethe-Zugang aus. Der aus Syrien stammende Autor lebte zu diesem Zeitpunkt seit drei Jahren in Zwickau. Sannaa begeisterte sich 18-jährig zunächst für Die Leiden des jungen Werthers. Den umfangreichsten Gedichtzyklus des Dichters, den West-östlichen Divan, bezeichnet er als »großen Schatz«. In der intensiven Beschäftigung Goethes mit dem Orient, insbesondere dem Koran, und der Aufforderung an die Leserschaft offen zu sein, sah Sannaa in ihm einen kulturellen Brückenbauer.[41]

Einzelnachweise

  1. Friedmar Apel u. a. (Hrsg.): Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt a. M. u. Berlin 1987–2013, I. Abt., Bd. 18: Ästhetische Schriften 1771–1805, S. 53, 1080. (online)
  2. Projekt Gutenberg-DE: Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters theatralische Sendung, Drittes Buch
  3. Johann Wolfgang Goethe. Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Band 8. Romane und Novellen III. Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, S. 698.
  4. Marion Schulz: Friederike Caroline Neuber –Schauspielerin, Prinzipalin, Bühnenreformerin. In: Kulturamt der Stadt Zwickau (Hrsg.): Chronik Zwickau. Sandstein Verlag, Dresden 2017, Bd. 1, S. 196 ff.
  5. Nationale Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (Hrsg.), Hans Prescher: Goethes Sammlungen zur Mineralogie, Geologie und Paläontologie. Katalog. Akademie-Verlag, Berlin 1978, S. 45, 54, 553, 667.
  6. Horst Franke, Volker Wahl: Zur Entstehung des Mineralnamens »Göthit«. In: Goethe-Jahrbuch, Band 95. Weimar 1978, S. 241 ff. (online)
  7. Felicitas Marwinski: Bücher „en miniature“ aus Zwickau. Die Taschenbuchreihen der Verlagsbuchhandlung Gebr. Schumann. Mit Bestandsnachweis der im Robert-Schumann-Haus, in der Ratsschulbibliothek und im Stadtarchiv in Zwickau überlieferten Drucke. Dohr, Köln 2011, S. 24, 148.
  8. Robert-Schumann-Haus Zwickau: Poesiealben aus Schumanns Zwickauer Freundeskreis. Sonderausstellung. 16. September bis 30. Dezember 2018, S. 5. Abgerufen am 23. Dezember 2023.
  9. 9,0 9,1 Sigrid Lange: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) im Schumann-Portal.de, abgerufen im März 2024.
  10. Gero von Wilpert: Goethe-Lexikon, Kröner, Stuttgart 1998, S. 970. (Stadtbibliothek)
  11. Theresa Schlegel: Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) im Schumann-Portal.de, 2020, abgerufen im März 2024.
  12. Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich (Hrsg.): Clara Schumann. Jugendtagebücher 1827–1840, Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 2019, S. 68.
  13. Zeno.org: Goethe, Johann Wolfgang, Tagebücher, 1831, October, abgerufen am 5. August 2022.
  14. Karl Robert Mandelkow (Hrsg.): Johann Wolfgang von Goethe: Briefe (Hamburger Ausgabe), Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1988, Bd. 4, S. 453f.
  15. Gerd Nauhaus und Nancy B. Reich (Hrsg.): Clara Schumann. Jugendtagebücher 1827–1840, Georg Olms Verlag, Hildesheim, Zürich, New York 2019, S. 69–71.
  16. Leipzig PostkoloniaL: Zum Arabischen Coffe Baum, abgerufen im März 2024. Die näheren Informationen zu Schumann sind der originalen Bildbeschreibung entnommen, die mit einem Klick auf das Bild zugänglich ist.
  17. Peter Jost: Ouvertüren, Christiane Tewinkel: Lieder. In: Ulrich Tadday (Hrsg.): Schumann-Handbuch. Metzler, Weimar und Bärenreiter, Kassel 2006, S. 373f., 442 ff.
  18. Zitiert nach: Goethes Gespräche. Eine Sammlung zeitgenössischer Berichte aus seinem Umgang auf Grund der Ausgabe und des Nachlasses von Flodoard Freiherrn von Biedermann. Ergänzt und herausgegeben von Wolfgang Herwig. Dritter Band. Zweiter Teil 1825–1832. Artemis, Zürich 1972, S. 822.
  19. Rüdiger Fikentscher: Liebe, Arbeit, Enthaltsamkeit. Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, S. 103–106.
  20. Gertrud Schubart-Fikentscher: Goethes sechsundfünfzig Straßburger Thesen vom 6. August 1771. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Hermann Böhlaus Nachfolger, Weimar 1949, S. 8, 10, 124, 129.
  21. Rolf Lieberwirth: Bibliographie Gertrud Schubart-Fikentscher In: Rolf Lieberwirth (Hrsg.): Rechtsgeschichte in Halle. Gedächtnisschrift für Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985). Heymann, Köln u. a. 1998, S. 92–93 (Hallesche Schriften zum Recht 5).
  22. 22,0 22,1 22,2 Rüdiger Fikentscher: Die Professorin privat – Erinnerungen. In: Rolf Lieberwirth (Hrsg.): Rechtsgeschichte in Halle. Gedächtnisschrift für Gertrud Schubart-Fikentscher (1896–1985). Heymann, Köln u. a. 1998, S. 13 (Hallesche Schriften zum Recht 5).
  23. Rüdiger Fikentscher: Gertrud Schubart-Fikentscher (1896/Zwickau – 1985/Halle). Dekanin und erste Frau im deutschsprachigen Raum auf einem juristischen Lehrstuhl. In: Stadtverwaltung Zwickau, Gleichstellungs-, Ausländer-, Integrations- und Frauenbeauftragte (Hrsg.): Muldeperlen. Tagungsband zu Frauenpersönlichkeiten der Zwickauer Geschichte, Zwickau 2018 (PDF; 4,9 MB), S. 52–59, hier S. 59.
  24. Rüdiger Fikentscher: Liebe, Arbeit, Enthaltsamkeit. Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, S. 160.
  25. Rüdiger Fikentscher: Liebe, Arbeit, Enthaltsamkeit. Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, S. 416.
  26. Rüdiger Fikentscher: Liebe, Arbeit, Enthaltsamkeit. Ein Gelehrtenpaar in zwei Diktaturen, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2013, S. 418.
  27. Ute Hoffmann: Heinrich Braun – Arzt, Wissenschaftler und Krankenhausreformer. In: Kulturamt der Stadt Zwickau (Hrsg.): Chronik Zwickau. Sandstein Verlag, Dresden 2017, Bd. 2, S. 160.
  28. Erzgebirgszweigverein Zwickau: Marianne Hütel, abgerufen am 29. Oktober 2022.
  29. Günter Zorn: Gert Fröbe – ein Weltstar mit Heimatliebe. In: Kulturamt der Stadt Zwickau (Hrsg.): Chronik Zwickau. Sandstein Verlag, Dresden 2017, Bd. 2, S. 162.
  30. MDR.de: Gert Fröbe: Hollywoodstar aus Zwickau, 26. November 2021, abgerufen am 4. August 2022.
  31. Österreichische Mediathek: Von Tag zu Tag – Solostück von Gert Fröbe im Theater Tribüne. Gespräch mit Gert Fröbe, gesendet am 28. März 1985, abgerufen am 4. August 2022.
  32. Spielplan von 2015 auf Monopoly Zwickau; Spielplan von 2018 auf Amazon; alle abgerufen am 8. August 2022.
  33. Aktuelles Straßenverzeichnis. In: Kulturamt der Stadt Zwickau (Hrsg.): Chronik Zwickau. Sandstein Verlag, Dresden 2017, Bd. 3, S. 223, 228.
  34. Kulturamt der Stadt Zwickau (Hrsg.): Chronik Zwickau. Sandstein Verlag, Dresden 2017, Bd. 3, S. 278f., 281.
  35. Anne-Frank-Schule Zwickau: Unsere Schule, abgerufen am 4. August 2022.
  36. Stadt Zwickau: Anne-Frank-Sprachheilschule, abgerufen am 8. August 2022.
  37. Jochen Klauß: Goethes Deutschland. Orte und Stätten von Aachen bis Zwickau aus der Sicht des Dichters. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1998, S. 8, 11, 295.
  38. Andreas Wohland: Zwickau war zweite Stadt der Reformation in: Der Sonntag vom März 2017, abgerufen am 6. August 2022.
  39. Stadt Zwickau: Neujahrsansprache der Oberbürgermeisterin der Stadt Zwickau Dr. Pia Findeiß. 5. Januar 2017 (PDF; 0,2 MB).
  40. Gero von Wilpert: Goethe-Lexikon, Kröner, Stuttgart 1998, S. 652, 855f., 873. (Stadtbibliothek)
  41. Khalid Sannaa: Goethe und der große Schatz. In: SOS-Kinderdorf Zwickau (Hrsg.): grenzenlos. Magazin für Zwickau. Weihnachten !?, Zwickau 2018, S. 10, 27.